Pferde: Individualdistanz und Fluchtdistanz

Individualdistanz

Pferde beanspruchen wie Menschen und viele andere Lebewesen den Raum, der sie unmittelbar umgibt, für sich selbst. Dieser Raum, in dem wir bzw. die Pferde nur „intime Freunde“ akzeptieren, wird als Individualdistanz bezeichnet.

Bei Pferden beträgt die Individualdistanz etwa 1,80m bis 3m und fällt meist vorne und hinten größer als seitlich aus, was wohl zum Teil mit der besonderen Struktur / Anordnung der Pferdeaugen zusammenhängt. Innerhalb der Individualdistanz duldet das Pferd normalerweise nur Pferde mit denen es gut bekannt ist („Freunde“, Fohlen), wobei es aus Ausnahmesituationen gibt. Zu diesen Ausnahmesituationen gehören Begegnungen zwischen Pferden, die sich am Geruch identifizieren wollen oder Paarungsbegegnungen.

Wenn sich fremde Pferde treffen, zögern sie zunächst beim Erreichen des Außenrandes der Individualdistanz und beobachten ihr Gegenüber auf der Suche nach einem Signal, das sie zum Näherkommen einlädt. Betritt das eine Pferd die Individualdistanz des anderen Pferdes ohne Einladung bzw. Aufforderung, wird es vertrieben. Derartige Situation ist häufig bei Fohlen zu beobachten, die sich im ausgelassenen Spiel öfters vergessen und dabei Individualdistanzen anderer Pferde ohne Aufforderung betreten. Pferde verteidigen also ihre Individualdistanz – ihren persönlichen Raum / Bereich.

Bei eher aggressiv veranlagten Pferden scheint die Individualdistanz größer zu sein als bei Pferden mit einem eher unterwürfigen Charakter. Aggressivere Pferde fühlen sich in der Regel schnell bedrängt oder belästigt, wo Artgenossen sich noch an der Nähe des anderen Pferdes erfreuen.  Diese Tatsache ist ein Grund dafür, dass aggressivere Pferde andere Pferde oft bedrohen und angreifen.

Pferde, die durch und durch an den Menschen gewöhnt sind, akzeptieren es meist, dass der Mensch in ihren persönlichen Bereich eindringt. Halbzahme bzw. halbwilde Pferde hingegen achten darauf, dass der Mensch eine gewisse Distanz wahrt. Um diese Distanz zu überschreiten, muss der Mensch auf eine Aufforderung / Einladung des Pferdes warten. So eine Aufforderung kann beispielsweise darin bestehen, dass das Pferd selbst die Distanz zum Menschen verkürzt und näherkommt, während der Mensch „freundlich“ und passiv auf Abstand bleibt. Teilweise ist es auch so, dass man bei einem Pferd, das sich durch die Anwesenheit des Menschen weder unruhig zeigt noch droht, davon ausgehen kann, dass man sich nähern darf.

Dringt man ungefragt – quasi gewaltsam – in die Individualdistanz des Pferdes ein, muss man damit rechnen, dass das Pferd flieht oder im schlimmeren Fall zum Verteidigungsangriff ansetzt.

IndividualdistanzWenn zwei Pferde nebeneinander hergehen, respektieren beide Tiere normalerweise die Individualdistanz des anderen. Dieser Abstand wird nur dann unterschritten, wenn die Pferde eng miteinander verwandt oder befreundet sind, oder wenn sie sich gegenseitig die Fliegen vom Leib halten.

Fluchtdistanz

Neben der Individualdistanz spielt die so genannte Fluchtdistanz eine große Rolle für das Pferd. Als Fluchtdistanz wird eine Mindestdistanz bezeichnet, die das Pferd zwischen sich und allen Dingen, die es als bedrohlich empfindet, einzuhalten versucht. Die Fluchtdistanz ist hinter dem Pferd größer bemessen als vor ihm.

Ein Pferd, das aufgeschreckt wird, läuft bis zur Grenzlinie der Fluchtdistanz laufen und sich dann erst umdrehen, um die vermeintliche Gefahr genauer in Augenschein zu nehmen und zu bewerten.

Die Grenzen der Fluchtdistanz werden durch die Bedrohung selbst bestimmt. Wenn der Mensch seine Aufmerksamkeit nicht auf das Pferd richtet, es nicht ansieht und mit gesenktem Kopf am Pferd vorbeigeht, reagiert es darauf in der Regel nicht mit Flucht. Wird das Pferd jedoch direkt angeschaut und dabei die äußere Grenze der Fluchtdistanz überschritten, ergreift das Pferd die Flucht.

Scheuen Pferden sollte man sich dementsprechend so wenig bedrohlich wie möglich nähern. Hilfreich ist es, wenn man sich etwas duckt (kleiner macht – aber nicht auf die Knie gehen) und das Pferd nicht direkt anschaut. Direktes Fixieren und auf allen Vieren ranpirschen wäre typisches Raubtierverhalten, wo dem Pferd von Natur aus normal nur die Flucht bleibt.

Individualdistanz

Wenn ein fremdes, bedrohliches Tier die äußere Grenze der Fluchtdistanz überschreitet, reagiert das Pferd mit Flucht, um wieder Abstand zwischen sich und die vermeintliche Gefahr zu bringen.

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